Es machte *rumms* und ein stechender Schmerz fuhr durch meinen ganzen Körper. Ursprünglich ging er von meinem dicken Zeh aus, der gerade nur in einer Birkenstock-Sandale steckte, und breitete sich so stark aus, dass ich kurz quietschen musste. Der zahnlose alte Mann neben mir lächelte mich an und zeigte mir, dass ich die schwere Stahltür mit meinem Fuß aufhalten muss. Sonst würde sie mir immer wieder gegen den Zeh knallen. Ich lächelte ihm dankbar zu und er nahm wieder seinen Weg auf, um den hungrigen Gästen im Zug ihr Frühstück zu servieren. Leicht beschämt machte ich mich also an die Aufgabe, weiterhin in der geöffneten Zugtür stehen zu bleiben, sie gleichzeitig mit dem Fuß gegen den Fahrtwind aufzuhalten und mich, sehr unindisch, leicht panisch festzuhalten um nicht herausgerissen zu werden. Doch so ungemütlich diese Situation auch war, nach kurzer Zeit lernte ich mich zu entspannen, und das, was ich sah, war so atemberaubend schön und entspannend, dass dies wirklich der schönste Moment meines Jahres 2017 war.
Ich stand in der warmen Zugluft, die genau richtig temperiert war, um nicht zu frieren oder zu schwitzen (anders als in dem vollklimatisierten Abteil, in dem meine Freundin Pfirsich und ich unsere Sitze gebucht hatten). Vor mir zogen wunderschöne westindische Landschaften vorbei: Berge, Hügel, Täler, grüne Landschaften, Reisfelder, Sandwege, Flüsse, Tümpel und Tempel. Exotische Tiere begrüßten den frühen Morgen (es war erst circa 6:30 Uhr morgens, als ich mich dort hinstellte): ich sah verschiedene Vögel, eine Menge Wasserbüffel, kleine und große Hunde, Katzen, Pfauen, und wenn ich nicht so schnell an ihnen vorbeigerauscht wäre, sicher auch Schlangen und kleinere Insekten. Die Sonne stieg langsam auf und spiegelte sich glitzernd in den kleinen Pfützen wieder.
„Wie kann Pfirsich dabei die ganze Zeit nur pennen?“, fragte ich mich, und dann noch in diesem unterkühlten Abteil, während ich drei Stunden am Stück in der Zugtür stand und die Landschaft beobachtete. So ruhig bin ich eigentlich nie, dass ich mich drei Stunden mit nur einer Tätigkeit beschäftigen kann, aber an diesem verzauberten Sonnenaufgang im indischen TAPOVAN Express war es nur eine logische Konsequenz. Bis mir der zahnlose alte Mann signalisierte, dass er mein Frühstück auf den Sitz gestellt hatte. Und wir aussteigen mussten und dabei von zahlreichen 1,50m großen indischen Frauen aufgehalten wurden, die in den Zug drängelten und uns nicht aussteigen lassen wollten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich bin so dankbar, dass ich dieses Abenteuer Indien immer wieder entdecken darf und diesen wunderschönen Moment in der geöffneten Zugtür erlebte. Auch wenn meine Eltern wahrscheinlich jetzt vor Sorge umkippen, wenn sie lesen, dass ich bei geschätzten 100 km/h ohne Anschnallgurt in einer Zugtür stand, und das auch noch stundenlang. Aber es hat sich gelohnt.
Manche Menschen sammeln Stempel in ihrem Pass wie Trophäen. 50 Länder sollte man doch mindestens schon mal gesehen haben im Leben, und das am besten, bevor man 30 ist. Ich finde, es gibt nichts schöneres als sich ein paar wenige Länder herauszupicken und diese von Grund auf zu untersuchen und zu verstehen. Immer mehr über die Kultur, die Menschen und die Geschichte zu lernen, Freunde und eventuell sogar Familie zu finden.
Und sich am Ende selber neu zu entdecken.
links: der Ausblick_ rechts: ich